Jeder kennt den Tipp „Don’t feed the trolls!“ Mit Trollen sind Online-Störenfriede gemeint, die meist provozierende, befremdliche und verletzende Dinge in sozialen Netzwerken und Foren posten, um darauf Reaktionen zu erhalten. Wer auf Trolling reagiert, so scheint es, gibt dem Trollenden genau das was er will. Der Bedürfnis-Befriedigung des Trolls versucht man also mit der obigen Regel die Grundlage zu entziehen.
Björn Tantau hat zu den Ursachen von Trolling eine sehr wertvolle Infografik ausgegraben, die ich mir hier ebenfalls erlaube aufzunehmen (Danke an Marcus Bilgeri für den Tipp). Darin werden neben den besten Reaktionsmöglichkeiten die psychologischen Zusammenhänge erklärt, die einen User zu einem Troll werden lassen können. Die Bezeichnung Trolling hat übrigens nichts mit den Trollen aus der Fabelwelt zu tun. Das Wort lehnt sich an eine Methode des Fischens an, bei der ein Köder so lange durch das Wasser gezogen wird, bis etwas anbeißt. Ebenso macht es der Online Troll, der mit provokanten Kommentaren durch Soziale Medien und Foren zieht und damit Köder für Reaktionen auslegt. Die Ursachen, die die unten eingefügte Infografik nennt, sind die folgenden:
Depersonalisierung, Anonymität & Zeitverzögerung
Eine Ursache die Trolling möglich macht, ist die Leichtigkeit der Identitätsverschleierung im Internet. Eine Studie von Leon Mann in den 60er Jahren deckte bereits auf, dass Menschen mehr dazu geneigt waren Selbstmordgefährdete zum Todessprung zu motivieren, je weniger eigene Identität dabei erkennbar war. Die eigene Identität kann auch im Social Web sehr einfach verschleiert werden, was ein Grund dafür sein könnte, dass ein User sich zum Trolling hinreißen lässt.
Eine weitere Tatsache ist, dass wir uns im Internet – wenn wir wollen – anstatt unsere Identität nur zu verschleiern, auch völlig anonym bewegen können. Der Gedanke „Mich kennt hier eh keiner“ veranlasst Menschen dazu rücksichtsloser zu werden. Dieser Effekt kann sogar dann noch auftreten, wenn der eigene Name zwar bekannt gegeben wird, man den Beteiligten aber im wahren Leben außerhalb der Online-Welt nicht bekannt ist.
Die Tatsache, dass ein Kommentar später gelesen wird als er gepostet wird, kann ebenfalls eine gewisse Gleichgültigkeit hervorrufen. Der Gedanke: „Ich poste jetzt meine Unzufriedenheit und haue direkt wieder ab“ kann auch zu provokanten Kommentaren führen. Das hat dann allerdings nichts mit dem eigentlichen Trolling zu tun. Für Trolle ist eine geschockte Reaktion das Ziel, dessen Beobachtung sich der Troll nicht durch Flucht entgehen lässt. Solche Unzufriedenheitsäußerungen haben eher mit der Kritik an Fehltritten zu tun, wie sie oft bei Shitstorms vorzufinden ist.
Selbstgenügsame Introjektion
Bei der Introjektion sind wir endgültig in komplexer psychologischer Theorie angelangt. Bei Introjektion verleibt sich eine Person vorteilhafte Eigenschaften ein und spielt diese anderen Usern im Internet vor, um soziale Bindungen zu erlangen. Letzten Endes ist ein mögliches Ergebnis geläufiger als die komplexe Theorie: Die Opfer können sich nachgestellt oder gar gestalkt fühlen, wobei Stalking ein eher extremes Ausmaß von Trolling ist.
Spieltrieb & Sadismus
Der menschliche Kontakt über das Internet ist unpersönlicher als in der realen Welt: Dinge wie Mimik, Emotionen, Stimme und Tonfall werden entweder gar nicht übermittelt oder mit Hilfsmitteln wie Fotos, Video-Chats, Emoticons übertragen. Die Authentizität des Online-Kontakts fällt im Vergleich zum persönlichen Kontakt in der „realen“ Welt geringer aus.
Für manche User kann das einen Realitätsverlust zur Folge haben, und man betrachtet die Interaktion mit anderen Menschen als eine Art Spiel (s. auch das Paper von Erin Buckels: Trolls just want to have fun). Bekannt ist in diesem Zusammenhang sicherlich das Milgram Experiment der 60er Jahre: Testpersonen wurden dazu animiert anderen Personen, die sie nicht sahen, schmerzhafte Stromschläge zu verpassen. Es fiel auf, dass im Vergleich wesentlich weniger Stromschläge abgegeben wurden wenn das Opfer dabei sichtbar war. Wenn die Folgen aufgrund einer räumlichen Trennung nicht zu beobachten waren, nahm die Bereitschaft anderen Personen Schaden zuzufügen deutlich zu.
Ähnlich kann es also bei Trollen sein, wenn die durch den Kommentar geschädigte Person nicht sichtbar ist: Ihnen ist es egal, welche schädlichen Auswirkungen ihre provokanten Kommentare haben, weil sie davon nichts mitbekommen.
Fehlende Regeln
Fehlt es einer Gesellschaft an Regeln die durch Autoritäten durchgesetzt werden, so ändern sich auch die Interaktionen zwischen ihren Mitgliedern. Es fehlt an Respekt und Konsequenzen müssen nicht mehr vermieden werden, so dass schlechtes soziales Verhalten zunimmt. Im Netz gibt es viele Foren und soziale Medien, in denen kaum moderiert wird. Solche „rechtsfreien“ Zonen sind ein Paradies für Trolle.
Narzissmus
Eine Studie der Stanford Universität hat herausgefunden, dass Personen, die extreme Ansichten mit besonderer Intensität vertreten, oft der Meinung sind dass sie für die Allgemeinheit sprechen. Diese Überzeugung regt besonders dazu an, die eigene Meinung kundzutun. Bei extremen und verletzenden Meinungen kann dies auch zu provokanten Kommentaren führen. Inwieweit dort wirklich eine bestimmte Reaktion erwartet wird, ist fraglich.
Missverständnisse
Kommentare können als provokant aufgefasst werden, obwohl sie vielleicht nicht böse gemeint sind. Dies kann besonders schnell bei Humor uns Sarkasmus der Fall sein. Allerdings stellt sich auch hier die Frage, inwiefern dieser Zusammenhang mit Trolling zu tun hat, da missverständliche Kommentare nicht unbedingt dazu geäußert werden müssen, um eine bestimmte Reaktion zu erhalten.
Wer einen Troll übrigens einen Schuh an die Angel hängen will, kann dies kommentarlos mit einem Link zum wunderschönen Trololo-Lied tun.
2 thoughts on “Was einen Online-Troll antreibt [Infografik]”
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