Ikea Hackers aus juristischer Sicht: Ein Interview mit Astrid Christofori

Rechtsanwältin Astrid Christofori Ikea Hackers

Der Abmahnungs-Fall des malaysischen Blogs „Ikea Hackers“ durch Ikea zieht momentan im Netz viel internationalen Unmut auf den Möbel-Konzern. Die Bloggerin Jules Yap wandelt auf dem Blog seit 2006 Ikea Möbel so ab, dass sie andere Zwecke erfüllen. So wird z.B. aus einer Ikea-Eieruhr ein Timelapse-Stativ für eine GoPro-Kamera, oder ein Billy-Regal wird mit Malm-Komoden zu einer erschwinglichen Schrankwand umfunktioniert.

Rechtsanwältin Astrid Christofori im Interview zu Ikea Hackers

Rechtsanwältin Astrid Christofori im Interview zu Ikea Hackers

Inzwischen ist der englischsprachige Blog über die malaysischen Grenzen hinweg so erfolgreich geworden, dass Jules Yap hauptberuflich darin schreibt. Der Zeitaufwand war irgendwann so groß, dass daneben keine Zeit für einen Job blieb. Um sich über Wasser halten zu können, begann Jules Yap also Werbung zu schalten.

Der Rechtsabteilung von Ikea ist dies anscheinend ein Dorn im Auge. Im Namen des Konzerns mahnte man die Inhaberin des Blogs ab. Nach monatelangen Verhandlungen gab es zwei Optionen: Entweder sollte Jules Yap in Zukunft auf die Schaltung von Werbung verzichten, oder die komplette Website auf Ikea übertragen. In jedem Fall wäre dies das Todesurteil für „Ikea Hackers“ in seiner jetzigen Form gewesen. Denn ohne Werbung würde Jules Yap den Blog nicht mehr in der gleichen Qualität weiter betreiben können, ohne sich den notwendigen Lebensunterhalt zu verdienen. Bei einer Übertragung hätte der Blog seine kreative Quelle verloren.

Jules Yap berichtete nach den aussichtslos verlaufenen Verhandlungen in einem Blogpost von ihrer misslichen Lage. Dank der Unterstützung durch die Community mit Tweets, Kommentaren und Mails an Ikea kam neuer Schwung in die Verhandlungen. Während dieser neuen Gespräche erlaubt Ikea Jules Yap die Seite ikeahackers.net ohne Einschränkungen – d.h. mit Werbung – so weiter zu betreiben wie bisher. Unterdessen berät man sich (anscheinend) auf Augenhöhe zu einer neuen Lösung.

  • Als ich den Fall mit dem Shitstorm Schnüffler auf Facebook postete, kam auch dort Empörung auf. Warum mahnt Ikea ab?
  • Hat Ikea nicht einen Vorteil von ikeahackers.net in Form von positiver PR?
  • Darf man überhaupt markenrechtlich geschützte Produkte fotografieren, verändern und die Fotos davon im Internet verbreiten?
  • Ist Ikea im Recht?
  • Selbst wenn, wie klug ist es als Unternehmen sein Recht auf diese Art und Weise durchzusetzen?
  • Inwiefern kann man sich außerdem als User vor solchen Abmahnungen schützen?

Diese Fragen kann natürlich am Besten jemand vom Fach beantworten. Deshalb habe ich die Rechtsanwältin Astrid Christofori um ein Interview gebeten. Erfreulicherweise hat sie zugesagt. Astrid ist Rechtsanwältin und hauptsächlich im Wirtschafts- und Vertragsrecht tätig. Sie bloggt beim Social Media Tagebuch, Urheberrechtscafé, Kooperationsblog und bei Mediative Gedanken.

Liebe Astrid, zunächst ganz kurz und knackig: Hat Ikea aus Deiner Sicht mit der Abmahnung des Blogs Ikeahackers klug gehandelt?

Nein, nicht wirklich. Es ist eine Sache, ob ein rechtlicher Anspruch besteht, es ist eine andere Sache, ob und „wie“ man einen rechtlichen Anspruch „durchsetzt“.

Rein juristisch gesehen: Warum ist Ikea im Recht?

Die spannende Frage ist ja: ist Ikea wirklich im Recht? Wir kennen nur einen kleinen Teil der Geschichte. Wir wissen, daß das Blog unter der Domain „ikeahackers.net“ seit 2006 besteht. Irgendwann später wurde das Blog so groß, daß die Bloggerin das Blog mit Werbeanzeigen finanziert hat und im März 2014 bekam die malaysische Bloggerin dann Post von Ikea. Das sind wenig Fakten für eine komplexe und internationale rechtliche Frage.

Auch wenn wir uns den Fall unter dem Blickwinkel deutschen Rechts anschauen, ist die Antwort nicht ganz einfach. Da stellt sich zunächst die Frage, ob die Nutzung der Marke „Ikea“ im Domainnamen rechtlich in Ordnung ist. Nach dem deutschen Markenrecht dürfen Dritte eine Marke nicht im „geschäftlichen Verkehr“ nutzen. Diese Einschränkung ist sehr wichtig. Denn eine rein private Webseite oder auch ein Forum mit Erfahrungsberichten müssen nicht darunter fallen.

Anders sieht es aus, wenn man mit der Webseite Einnahmen erzielt – zum Beispiel Einnahmen aus Werbung durch Werbebanner. Es gibt sogar eine Gerichtsentscheidung des LG Hamburg, nach der auch Werbebanner eines Providers auf einer kostenlosen Webseite eine geschäftliche Nutzung darstellen.

Soweit das Blog „ikeahackers“ also ohne Werbung betrieben würde, wäre der Domainname aus der Sicht des deutschen Markenrechts wohl kein Problem. Ab dem Zeitpunkt in dem Werbeeinnahmen erzielt werden, ist die Nutzung der Marke „Ikea“ im Domainnamen abmahnbar.

Macht die Abmahnung wirtschaftlich Sinn? Wie hoch ist der tatsächliche Schaden für Ikea dadurch, dass auf ikeahackers.net abgewandelte Produkte präsentiert werden? Oder ist der Blog eher als Gewinn für die Marke zu verstehen?

Diese Frage ist kaum zu beantworten. Wir wissen nicht, ob beziehungsweise wieviele Kunden möglicherweise verwirrt waren, weil sie – auf der Suche nach „Ikea“ – auf der Seite „ikeahackers.net“ gelandet sind. Eine Abmahnung muß ja nicht erst dann ausgesprochen werden, wenn tatsächlich ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, dann könnte es sogar schon zu spät sein. Schon die Einschätzung, daß das Blog dem Unternehmen in die Quere kommen kann, reicht aus um rechtliche Maßnahmen einzuleiten. Persönlich denke ich auch, daß das Blog eher ein Gewinn für die Marke ist. Aber leider entscheiden ja nicht wir beide, wie Ikea damit umgeht.

Wieso ist die juristische Markenpflege für Unternehmen so wichtig?

Mit der Eintragung einer Marke beginnt die Markenpflege. Das Deutsche Patent- und Markenamt prüft nicht, ob eine später eingetragene Marke mit einer schon bestehenden Marke verwechselt werden kann. Das kann nur der Markeninhaber machen und dazu gehört natürlich auch das Monitoring von Domainnamen und anderen „Erwähnungen“.

Mit dieser Überwachung kann ich frühzeitig eingreifen, wenn jemand in „meinem“ Bereich arbeitet. Es ist ein bißchen wie bei der Gartenpflege: wenn ich in ein Beet Blumen pflanze, dann muß ich auch gelegentlich das Unkraut entfernen. Sonst wird mein Blumenbeet von Unkraut überwuchert und die Blumen sind nicht mehr zu sehen.

Der Überwucherung durch das Unkraut entspricht im Markenrecht die Gefahr der Verwässerung einer Marke. Wenn eine Marke von den Kunden nicht mehr eindeutig mit einem bestimmten Unternehmen in Verbindung gebracht wird, dann verliert die Marke praktisch ihre Wirkung. Deshalb muß der Markeninhaber rechtzeitig – also frühzeitig – eingreifen, sonst kann er sich gegen eine Verwässerung seiner Marke irgendwann nicht mehr wehren. Der Markeninhaber sollte eine klare Linie verfolgen: entweder er wehrt sich gegen Verletzungen seiner Marke und schützt damit die Marke oder er duldet Verletzungen, weil sie ihn nicht stören. Wenn er Verletzungen schon geduldet hat, dann können andere sich später genau darauf berufen.

Der Blog ikeahackers.net besteht schon seit 2006. Hat die Abmahnung eigentlich rechtliche Substanz, oder hätte Ikea früher handeln müssen?

Das ist eine sehr gute Frage! Aus meiner Sicht gibt es zwei Zeitpunkte, die für diese Frage von Bedeutung sind: zum einen den Start des Blogs im Jahr 2006, zum anderen den Start der Werbeeinnahmen – wobei wir den Zeitpunkt leider nicht kennen.

Die Bloggerin hat – wenn man ihren Blogbeitrag liest – seit 2006 anscheinend völlig ungestört unter der Domain „ikeahackers.net“ gearbeitet. Es klingt so, als ob Ikea sich erstmalig in diesem Jahr mit ihr in Verbindung gesetzt hat. Man könnte deswegen an Verwirkung denken. Verwirkung bedeutet, daß jemand über einen längeren Zeitraum redlich und ungestört gehandelt hat. Dadurch wurde ein Zustand geschaffen, der für ihn „wertvoll“ ist und auf den er vertrauen darf, weil der andere nichts unternimmt. Für eine solche Verwirkung wäre aber ein Zeitraum von ein paar Jahren erforderlich. Wir müßten also wissen, ab wann die Bloggerin Werbeeinnahmen erzielt hat.

Meine persönliche Einstellung ist, dass man mit Abmahnungen und Paragraphen erst dann drohen sollte, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind. Sollte man diesen ethischen Grundsatz als Unternehmen genau so verfolgen, oder gelten hier andere Regeln?

Jein. Grundsätzlich halte ich es schon für sehr sinnvoll, zuerst alle anderen Optionen auszuschöpfen. Aber im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes – und dazu gehören unter anderem das Markenrecht und das Urheberrecht – muß man manchmal relativ schnell tätig werden.

Sowohl im Markenrecht als auch im Urheberrecht gibt es die Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung gegen eine Verletzung seiner Rechte (zum Beispiel unberechtigte Nutzung einer Marke oder eines urheberrechtlich geschützten Fotos oder Textes) zu beantragen – dafür hat man ungefähr einen Monat ab Kenntnis der Rechtsverletzung Zeit. In dieser kurzen Zeit erfolgt auch die Abmahnung – sozusagen als außergerichtliche Warnung. Dadurch entsteht ein gewisser Zeitdruck, der natürlich auch zu unglücklichen Vorgehensweisen führen kann. Grundsätzlich denke ich schon, daß ein kurzes Zeitfenster da ist, in dem man mit der anderen Seite Kontakt aufzunehmen kann bevor eine Abmahnung versandt wird. Wie das in der Praxis realisierbar ist, hängt aber immer vom Einzelfall ab.

Der Blog von Jules Yap ist international bekannt. Die Bloggerin hat ihre Community direkt von der Abmahnung wissen lassen. Wie risikoreich ist das Abmahnen von Bloggern bezogen auf Reputationseinbußen? Macht es in Deinen Augen Sinn, Abmahnungen bevor sie das Unternehmen verlassen von der PR-Abteilung gegenchecken oder gar freigeben zu lassen?

Die Frage nach dem Risiko einer Reputationseinbuße läßt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Aus der Sicht der Bloggerin war es die einzige Möglichkeit, ihre Community zu informieren. Ein Gerichtsverfahren gegen ein großes Unternehmen ist schon aufgrund der hohen Kosten für die meisten Blogger schlicht und einfach finanziell nicht möglich. Der Weg in die Öffentlichkeit kann dann ein Gegengewicht schaffen. Viele Menschen werden Sympathie für die Bloggerin haben und – so wie die letzten Informationen auf dem Blog sind – führt dies vielleicht noch zu einer guten Lösung mit Ikea.

Unternehmen müssen also bei einer Abmahnung damit rechnen, daß der betroffene Blogger sich an die Öffentlichkeit wendet. Gleichzeitig darf die Angst vor einer öffentlichen Reaktion eines Bloggers nicht dazu führen, daß Unternehmen von vornherein auf Rechte verzichten und damit ihre Marke und ihr Unternehmen schwächen.

Aus meiner Sicht wäre eine interne Abstimmung im Unternehmen vor der Abmahnstufe sinnvoll. Bei einem guten Monitoring der Marke bekommt das Unternehmen frühzeitig mit, was sich im Internet so tut. Gerade in einem Fall, wo die Bloggerin ganz offensichtlich dem Unternehmen nicht schaden wollte, wäre eine Kontaktaufnahme vor Versand einer Abmahnung durchaus denkbar und würde ganz andere Lösungsmöglichkeiten eröffnen. Dafür ist es notwendig, daß sich alle beteiligten Abteilungen frühzeitig abstimmen, damit das vorhandene Zeitfenster genutzt werden kann. Aber ganz klar: Wenn es keine kurzfristige Einigung mit dem Blogger gibt, dann muß das Unternehmen – schon allein um seine Rechte zu wahren – tätig werden.

Mal angenommen Ikea würde jetzt öffentlich zurückrudern. Hätte dies auch rechtliche Konsequenzen? Könnten zum Beispiel zukünftige Abmahnungen für Ikea in Zukunft schwieriger sein?

Ich würde es nicht „zurückrudern“ nennen. Die Frage ist ja eher, welche konkrete Regelung Ikea mit der Bloggerin trifft. Wenn es eine Vereinbarung zwischen Ikea und der Bloggerin gibt, dann gilt diese Vereinbarung nur zwischen den beiden. Andere Personen und Unternehmen können sich nicht auf die Vereinbarung berufen. Insofern sehe ich bei einer solchen Vorgehensweise wenig Probleme für die Zukunft. Bei einem bloßen Verzicht könnte das anders sein, weil andere sich auf diesen Verzicht berufen könnten.

Wie ist die Rechtssituation für den privaten User? Ist es generell nicht erlaubt, sich ein Markenprodukt zu kaufen, es dann zu variieren und sich darüber im Rahmen eines Blogs auszutauschen? In der Auto-Tuning-Szene könnte das z. B. zu massiven Problemen für ganze Online-Tuner-Portale führen. Auch in der Gaming-Szene gibt es durch Gameplay-Videos Mengen an User-Generated Content, der Urheberrechte verletzen könnte. Was kann der einzelne User bzw. Blogger auf der anderen Seite tun, um sich vor urheberrechtlichen Abmahnungen zu schützen?

Ich hatte den Eindruck, daß das Grundproblem die Nutzung der Marke in der Domain und die Schaltung von Werbeanzeigen war, um die eigentlichen Hacks ging es gar nicht – zumindest soweit ich das gelesen habe. Generell gilt: überall, wo ich Marken nutze, darf dies nicht geschäftlich erfolgen – also bitte auf Werbebanner und Einnahmen verzichten.

Hätte es etwas gebracht, wenn Jules Yap nicht nur Möbel von Ikea, sondern auch von vielen anderen Möbelhäusern abgewandelt hätte?

Nein, weil es dann – vor allem unter dem Domainnamen „ikeahackers.net“ – noch verwirrender gewesen wäre.

Was wäre beispielsweise mit Satire, wäre das ein Schlupfloch?

Hui, das ist eine richtig schwierige Frage. Satire ist nach meinem Verständnis gerade kein „Schlupfloch“. Grundsätzlich fällt Satire einerseits unter die Kunstfreiheit, andererseits heißt dies nicht, daß die Rechte des Unternehmens dadurch wegfallen. Hier ist immer eine Abwägung erforderlich. Wenn das Unternehmen die Satire zum Beispiel als herabsetzende oder verunglimpfende Nutzung seiner Marke empfindet, dann ist der Rechtsstreit eigentlich vorprogrammiert.

Die Online-Community ist größtenteils empört über das Vorgehen von Ikea. Mit Nerdcore oder dem Museumsquartier gibt es bereits ähnliche, rechtlich gestützte Übernahme-Fälle von Domains und Social Media Profilen, die zu einem Shitstorm geführt haben.

Teilst Du die Auffassung, dass so manches Gesetz mit den gelebten Werten und Normen der digitalen Gesellschaft nicht mehr konform ist? Inwiefern hältst Du es für möglich, dass betroffene Gesetze wie das Urheberrecht in Zukunft angepasst werden? Falls ja, wie lange dauert ein solcher Prozess?

Ja, die Auffassung teile ich. Ganz ehrlich: ich würde mir in vielen Bereichen eine Änderung wünschen, im Moment sehe ich aber eher einen Trend in die entgegengesetzte Richtung. Eine Änderung würde jedenfalls viele Jahre dauern.